Roentgenmanufaktur, Neuwied, 1770/75
Ahornholz gefärbt, sogenanntes bois de tabac und andere helle Furnierhölzer, Rosenholz, Eichen- und Nadelholz als Blindhölzer, Zedernholz, Kirschbaumholz, Messing, Eisen, vergoldete Bronzen, Silber
Höhe 77 cm, Breite 91 cm, Tiefe 63,5 cm
Eine Coiffeuse aus der Roentgenmanufaktur – Luxus aus der Fabrique
Christine Cornet
Die sogenannte table de toilette, der Frisiertisch, entstand um die Mitte des 18. Jahrhunderts und diente der sogenannten seconde toilette, der Körper- und Gesichtspflege und -verschönerung nach der Körperreinigung, der première toilette. Der Begriff leitet sich von dem Tüchlein (toilette) her, das ursprünglich den Tisch bedeckte, um darauf die benötigten Utensilien auszubreiten und die Puderreste sowie anfallendes Haar aufzunehmen. Nach Gebrauch wurde das Tüchlein ausgeschüttelt und aufgeräumt. Neben den mit Textilien bedeckten Tischen, die ausschließlich einem Zweck dienten, gab es bald auch Mehrzwecktische wie diesen, die meist als schön furnierte Möbel gestaltet waren.
Der hier gezeigte Tisch ist großflächig mit Ahornholz furniert, welches einst grau eingefärbt war. Diese Farbtönung ist heute als bois de tabac bekannt, benannt nach dem gealterten Farbzustand, in welchem der graue Farbton in einen kühlen Braunton umgeschlagen ist. Auf den Sichtflächen ist der Tisch mit Blumenmotiven marketiert, die monochrom in Blautönen gehalten sind.
Der Frisiertisch hat die für diesen Möbeltyp charakteristische Aufteilung des oberen Blatts und der Innenfächer: Die Mitte des Blatts ist nach rückwärts aufzuklappen und als Spiegel aufzustellen. Zu beiden Seiten befinden sich nach außen zu öffnende Klappen, darunter liegen die für Roentgenmöbel typischen grün-grau gestreiften Jalousien, die je ein größeres Fach verschließen.
Das Möbel birgt noch weitere Überraschungen: Unter den drei von oben zugänglichen Fächern enthält es drei Schubladen, zwei schmale Laden unterhalb der Seitenfächer, die mechanisch zu öffnen sind, und in der Mitte eine breitere Schublade, die mit einem hochstellbaren und faltbaren Schreibpult ausgestattet ist. Dazu gehört außerdem eine seitlich zu öffnende kleine Schwenkschublade, die silberne Schreibutensilien enthält.
Die Roentgen-Manufaktur – Abraham und David Roentgen an der Spitze von hochspezialisierten Künstlern und Handwerkern
Die Roentgenmanufaktur in Neuwied war eine der frühesten Möbelmanufakturen, die unabhängig von einem Fürstenhof arbeitete. Dem Anspruch, nur sehr hochwertige Möbel herzustellen, kam eine Werkstatt mit einer größeren Anzahl von Beschäftigten sehr entgegen. Nur unter diesen Bedingungen konnten sich die einzelnen Handwerker und Künstler für die vielen unterschiedlichen Arbeiten, wie zeichnerische Entwürfe, Holzfärben, Einlegearbeiten und Mechaniken, auf einem sehr hohen Niveau spezialisieren. Dieser viel höhere Grad an Wissen und Geschicklichkeit, welcher arbeitsteilig bei der Herstellung der Möbel zum Einsatz kam, bewirkte eine enorme Qualitätssteigerung der Möbel. Darüber hinaus ermöglichte diese Betriebsform die Herstellung einer größeren Anzahl von Möbeln, die dann in kleinen Serien gefertigt wurden.
Das Manufakturwesen dieser Zeit brachte nicht eine gesichtslose Massenproduktion hervor, sondern bot die idealen Voraussetzungen für die einzigartige Verarbeitung und Gestaltung, für welche die Erzeugnisse der Roentgenmanufaktur berühmt waren. Die Außergewöhnlichkeit der Arbeiten verdankte sich auch etlichen innovationsfreudigen und erfinderischen Köpfen, die unter der umsichtigen Leitung von David Roentgen in der Manufaktur zusammengekommen waren.
Eine neue Marketerietechnik – das innovative Prinzip und seine Künstler
Eine neue Marketerietechnik wird erstmals im Plan der Lotterie von 1768 erwähnt, die David Roentgen zur Sanierung der Unternehmensfinanzen beim Rat der Stadt Hamburg beantragt hatte. Darin heißt es, der erste Preis sei: »[...] auf das künstlichste, [...] a la Mosaique eingelegt, dergestalten, daß ich mich ohne scheu in Ansehung der guten Zeichnung, Schattirung und Couleuren der Critique eines Kunstmahlers frei unterwerfen darf. Das allerwunderbar- und seltsamste hiebey aber ist, daß alle Figuren von lauter Hölzern gemacht, und zwar von solchen zusammengesucht- und choisirten Hölzern, daß dieselben eine vollkommene Mahlerey präsentiren, welche mit dem Hobel, ohne dabei etwas an ihrer Schönheit zu verlieren, können überfahren und abgehobelt werden.«
Damit ist eine neuartige Technik beschrieben, die sich von den üblichen Gepflogenheiten im 18. Jahrhundert stark unterschied. Die Technik à la Mosaique machte die in dieser Zeit gängigen graphischen Strukturierungen, wie z. B. Gravuren, überflüssig.
Für die Herstellung solcher Marketerien mussten mehrere Spezialisten zusammenarbeiten. Für die Motive verwendete man Vorzeichnungen, deren Licht- und Schattenpartien als einzelne fest umrissene Kompartimente unterschiedlicher Helligkeit bzw. Farbintensität definiert wurden. Je kleinteiliger diese Elemente zusammengesetzt waren, desto weicher wirkten die Übergänge von lichten zu dunklen Partien und desto malerischer erschien dann die Marketerie. Für die Entwürfe arbeiteten eigene Künstler für die Manufaktur, z. B. der berühmte Januarius Zick und Johannes Juncker, der auch die Porträts von Abraham und Susanna Maria Roentgen schuf. Weitere Mitarbeiter waren Elie Gervais und sein Geselle Raillard, von welchen bekannt ist, dass sie unter anderem Blumen für die Marketerien zeichneten. Diese beiden und Johannes Juncker waren wohl mit den zeichnerischen Vorarbeiten an den Marketerien befasst.
Der Marketeur Michael Rummer – ein hochspezialisierter Künstler und Präzisionshandwerker
Der Marketeur war einer der wichtigsten Spezialisten, denn das Aussägen bzw. -schneiden sowie die »Verwaltung« der zum Teil winzigen Stücke erforderte besonderes Geschick und systematisches Vorgehen. Für diese Arbeiten, ja sogar für die Erfindung der neuen Technik à la mosaique nennen die Quellen Michael Rummer (1747–1821), den bedeutendsten Spezialisten für Marketerien; er fertigte die berühmtesten Arbeiten der Manufaktur, wie die großen Marketerietafeln für den Prinzen Karl Alexander von Lothringen, Statthalter der Österreichischen Niederlande in Brüssel, und die eingelegten Bilder der drei Großen Kabinettschränke, von welchen zwei an den französischen bzw. den preußischen König und eines an Prinz Karl Alexander von Lothringen, Statthalter der Österreichischen Niederlande in Brüssel, gelangten.
Dafür, dass Rummer auch die Marketerien dieses Möbels gefertigt hat, spricht ein exakt gleicher Frisiertisch mit denselben Marketeriemotiven, den er zweimal signiert hat: »Michael Rummer von Handschuhsheim fecit à Neuwied 1772«.
An diesem Möbel lässt sich die extreme Feinheit der Aufteilung in kleinste Teile gut zeigen; sie wurden in unterschiedlichen Farbnuancen eingefärbt, um die Licht- und Schattenpartien darzustellen.
Während sich diese Einzelheiten dem bloßen Auge erschließen, gibt es andere, für die eine Lupe benötigt wird, denn auch die winzigsten Details, wie punktgroße Einlagen, wie z. B. am Rechen der Gartentrophäe auf dem oberen Blatt, sind als Einzelteile eingelegt. Hier bestehen diese allerdings nicht aus Langholz, sondern sie sind als Hirnholzstifte eingeschlagen. Diese Technik war zwar schon länger bekannt, doch zeigt sie sich hier außergewöhnlich detailreich, indem nicht nur ein Stift, sondern zwei in unterschiedlicher Färbung nebeneinander liegen und eine exakt gerade Fugenlinie haben.
Die einzigartige Art, Marketerien einzulegen, war eines der Markenzeichen der Manufaktur und trug viel dazu bei, den internationalen Ruhm des Unternehmens zu begründen.
Farbige Hölzer – ein Betriebsgeheimnis
Für die Fertigung der Marketerien mussten die Hölzer in lebhafte Blautöne bzw. in Silbergrau gefärbt werden, eine Aufgabe, für welche wiederum ein anderer Spezialist der Manufaktur zuständig war: Christian Krause (1748–1792), aus den Akten bekannt für die Erfindung der Mechaniken und des »Geheimnis(ses), ein jedes fremdes Holz, das sonst mit Mühen und Kosten aus Ost und Westen mußte hergeholt werden, dauerhaft in Couleur und Ansehen aus unsern europäischen Holze nachzumachen...«. Es gelang Krause nicht nur, die Hölzer sehr lebhaft einzufärben, sondern auch sie durchzufärben, weshalb David Roentgen damit werben konnte, die Marketerien würden bei Überarbeitungen keinen Schaden nehmen. Krauses Färbeverfahren ist nicht dokumentiert, darüber gibt es bis heute nur Mutmaßungen.
Die Farbigkeit ausschließlich in Grau und in Blautönen, wie sie an diesem Tisch zu sehen ist, kommt im Unterschied zu den sonst in der Manufaktur üblichen buntfarbigen Marketerien weniger häufig und nach bisherigen Erkenntnissen ausschließlich an Stücken mit Blumenmarketerien vor. Ein berühmtes Beispiel für solche monochrom blauen Einlagen ist die Schatulle, die auf Johannes Junckers Portrait von Abraham Roentgens Frau Susanna Maria dargestellt ist.
Am Möbel selbst kann man die ursprüngliche Farbigkeit nur mehr ungefähr mittels eines digital veränderten Fotos rekonstruieren, wobei in diesem Fall die Schatulle auf dem Portrait zum Vergleich herangezogen werden kann. Nur solche »virtuellen Restaurierungen« können heute noch die ursprüngliche Farbigkeit veranschaulichen, da diese durch die Lichteinwirkung irreversibel verändert ist.
Der Korpus – teilautomatisiert und in gediegenster Verarbeitung
An den Details der Verarbeitung des Korpus ist zu beobachten, wie sehr man in der Manufaktur Wert auf Präzision legte. Der Korpus des Tisches birgt noch einige – für die Roentgenmanufaktur allerdings typische – Besonderheiten, wie die abschraubbaren Beine, die den Transport der Möbel erleichtern und sicherer machen sollten. Dabei sind die Verschraubungsteile so präzise abgestimmt, dass die Beine, die nur in einer auf den Millimeter exakten Ausrichtung passen, auch noch nach über 200 Jahren mit der letzten Drehung die richtige Position einnehmen.
Eine weitere Besonderheit an diesem Tisch sind die selbsttätig zu öffnenden seitlichen Schubladen. Der dafür eingebaute Federmechanismus gehört zu den »Geheimnissen«, die fast jedes Roentgenmöbel in unterschiedlichen Varianten aufweist, und die zu den Charakteristika dieser Möbel gehören.
Was die allgemeine Verarbeitung anbelangt, so sind auch die inneren Fächer und Schubladen aus edlen Hölzern ein Detail, welches gleichfalls die Roentgenmöbel qualitativ aus der Menge der üblichen heraushebt.
Die Coiffeuse als Beispiel für Serienproduktion und zugleich Vielfalt in der Roentgenmanufaktur
Bislang sind drei weitere Tische aus derselben Epoche mit der gleichen äußeren Form bekannt; sie unterscheiden sich nur durch ihre dekorative äußere Hülle: Zwei davon sind mit Chinoiserien eingelegt, davon ging einer im Krieg verloren, der zweite, ehemals Kunsthandel Röbbig, ist heute in Privatbesitz. Das dritte Stück gleicht diesem Tisch am meisten, da es die gleichen Marketeriemotive, jedoch in Buntfarben trägt. Dieses Möbel ist, wie oben erwähnt, von Michael Rummer signiert und 1772 datiert, es befindet sich heute in Privatbesitz (Abbildung der drei Frisiertische in: Fabian 1996, Nr. 32–34; Fabian 1986, Nr. 77 und 78; Greber 1980, Bd. II, Nr. 307 und 308).
Was die Marketeriemotive dieses Tisches anbelangt, so sind diese, ebenso wie die Möbeltypen und -formen, wiederholt worden: Die Gartentrophäe taucht in unterschiedlichen Varianten an etlichen Roentgenmöbeln auf, zumeist in Verbindung mit Blumenarrangements und den typischen Bänder- und Ösenmotiven.
Die Besonderheit der monochrom blauen Blumenmarketerien findet sich z. B. auch an dem Möbel-Ensemble im Gothaer Schloss, an einem Rollbureau sowie an einem frühklassizistischen Tischchen aus Privatbesitz (Abbildung in: Ausst.-Kat. Neuwied 2011, S. 110 f., Abb. 20, 23, 24 und Nr. 18, S. 257); außerdem an einem Schreibschrank im Victoria & Albert Museum in London.
Resümee
Als typisches Erzeugnis der Roentgenmanufaktur ist der Tisch ein Gesamtkunstwerk der dort tätigen Spezialisten und Künstler und damit ein wichtiges Zeugnis ihrer außergewöhnlichen künstlerischen und handwerklichen Leistungsfähigkeit. An diesem Möbel sind die Vorzüge der Manufakturproduktion, die zu dieser Zeit enorm qualitätssteigernd wirkte, deutlich ablesbar.
Ausst.-Kat. Neuwied 2011
Wolfgang Thillmann und Bernd Willscheid (Hg.), Möbel Design Roentgen, Thonet und die Moderne, Katalog zur Ausstellung im Roentgen-Museum Neuwied, 21. Mai – 04. September 2011, Neuwied 2011.
Cornet 1998/1999
Christine Cornet, Zur Konstruktion und Verarbeitung der Roentgenmöbel, in: Mechanische Wunder Edles Holz. Roentgenmöbel des 18. Jahrhunderts in Baden und Württemberg, Katalog zur Ausstellung im Badisches Landesmuseum Karlsruhe, 3. Oktober 1998-10. Januar 1999, Karlsruhe 1998/1999.
Cornet 2011
Christine Cornet, Beobachtungen zu den Fertigungsbesonderheiten in der Roentgenmanufaktur, in: Ausst.-Kat. Neuwied 2011, S. 103-117.
Fabian 1986
Dietrich Fabian, Roentgenmöbel aus Neuwied, Bad Neustadt 1986.
Fabian 1996
Dietrich Fabian, Abraham und David Roentgen. Das noch aufgefundene Gesamtwerk ihrer Möbel- und Uhrenkunst in Verbindung mit der Uhrmacherfamilie Kinzing in Neuwied, Bad Neustadt 1996.
Greber 1980
Josef Maria Greber, Abraham und David Roentgen, Möbel für Europa, 2 Bde. Starnberg 1980.
Himmelheber 1975
Georg Himmelheber, Ein Roentgen-Möbel von 1772, in: Weltkunst 22 (1974), S. 2043.
Himmelheber 1999
Georg Himmelheber, Schlossmuseum Gotha. Ein Kommodenensemble der Roentgenmanufaktur, in: Patrimonia 159 (1999).