Wohl Michael Kimmel, kurfürstlich-königlicher „Cabinett-Tischler“
Dresden, um 1750/60
Blindholz in Eiche, Nußbaum, Fichte; furniert in Palisander, Kirsche, Akazie, Ebenholz; geschnitzt; Profile und Kanten messingbelegt, Zinnfadeneinlagen; Beschläge in Messing, vergoldet, ziseliert, graviert; Riegel, Scharniere, Schlösser in Messing bzw. messingverblendet, graviert; altes Spiegelglas, facettiert; Maserierung; Geheimfächer.
Höhe 242 cm, Breite 118 cm, Tiefe 63 cm.
Im Schrankaufsatz Kartusche mit Monogramm „TS“, am Boden unkenntliches Wachssiegel.
Der prächtige, geschweift-gebauchte, sich leicht nach oben verjüngende und variationsreich in verschiedenen edlen Hölzern furnierte Schreibschrank gehört zu einer Reihe exponierter Dresdener Rokokomöbel. Das Schreibmöbel besteht aus einem zweischübigen Kommodenuntersatz mit Kniemulde, einem Sekretärteil mit abklappbarer Schreibplatte und vielteiligem Eingerichte sowie einem Schrankaufsatz mit zwei Spiegeltüren und verschiedenen Schüben und Fächern im Inneren. Ab 1733/1734 verlangte die Dresdener Tischlerzunft den Ende des 17. Jahrhunderts in England entwickelten Schreibschranktyp als Meisterstück. Bereits damals besaßen viele dieser Möbel Türen mit kostbaren und teuren Spiegelfüllungen aus den landeseigenen Spiegelhütten Dresden oder Friedrichsthal. Derartige Schreibschränke gehörten sehr bald zum Meublement sächsischer Schlösser und Palais als Bureau- oder Sammlungsmöbel, als „Schenk Tische“ für Flaschen und Gläser, als „Putzschränke“ zur Bewahrung von weiblichen Toilettenutensilien oder vereinzelt als auffallend wertvolle Repräsentationsmöbel.
Die strenge Formgebung dieser Schreibschränke erfuhr durch das um 1740 in Dresden eingeführte Rokoko mit Schweifungen und Bauchungen eine allseitige Bewegung sowie durch ein Abschrägen der vorderen Eckkanten eine einheitliche Linienführung von den sich vom Boden abhebenden Füßen bis hin zum aufgewölbten, später gesprengten Giebelgesims. Dieser eleganten Möbelform des Rokoko entsprach auch die Oberflächenveredelung: bei kostbaren Arbeiten, vor allem in Palisander- oder Königsholz und mit Marketerien aus Spiegelfeldern in geometrisch diffiziler Zusammensetzung, eingefaßt von kantenparallelen Diagonalfriesen und zarten Bändern, insgesamt unter Ausnutzung der natürlichen Maserung und Farbigkeit von unterschiedlichen Hölzern. Nach 1750 wurde - wie am vorgestellten Möbel - die Marketerie vereinheitlichend über die konstruktive Gliederung der Kommodenschubkasteneinteilung hinweg behandelt. Nur die Kniemulde erscheint im Furnierbild immer herausgehoben.
Zarte phantasievolle Beschläge, oft in vergoldetem, sehr gut bearbeiteten Messing, mit durchbrochenen geriffelten Rocaillen, kleinen Blüten, bewegten Blatt- und Flügelschwüngen bereichern sparsam und meist nur an funktionell notwendigen Stellen die Marketerie an Handhaben, Schlüssellöchern, Spiegelrahmungen und Füßen oder - wie zu sehen ist - als bekrönende Kapitelle an Pilastern, als durchbrochenes Gitter oder fein gravierte Palmwedeleinlagen rechts und links der Monogrammkartusche im Schrankinnern.
Eine Besonderheit sind auf der Front des abgebildeten Möbels die Messingbeläge an Kanten und Profilen sowie die Zinnfadeneinlagen als Rahmungsdekor auf den Schubkastenvorderstücken im Eingerichte. Diese strukturierenden Gestaltungselemente sind in Dresden an besonders herausragenden Möbeln nachweisbar. So nutzte der Stadttischler Johann Gottfried Leuchte (gest. 1759) gliedernde Messingbeläge an seinem Meisterstück, einem 1746 fertig gestellten Aufsatzschrank (Kunstgewerbemuseum Dresden). Der „Cabinett-Tischler“ Michael Kimmel (1715-1794) wurde für dieses Dekor schon 1751 bei seiner Einstellung am Hof gelobt.
In Zittau aufgewachsen und als Geselle bis nach Wien gewandert gilt Michael Kimmel als einer der besten Dresdener Hoftischler. Arbeiten von ihm sind aber nur durch knappe Beschreibungen in alten Dresdener Inventaren und Hofakten nachweisbar. Darauf basierend werden diesem Meister sehr wertvolle und hervorragend gearbeitete Dresdener Rokokomöbel mutmaßlich zugeordnet, wie der Schreibschrank im Londoner Victoria & Albert Museum, der bis 1760 im Jagdschloß des sächsisch-polnischen Kurfürst-Königs Friedrich August II. in Hubertusburg stand. Dieses prunkvollste aller Dresdener Rokokomöbel besitzt in der Formgebung, in der Beschlagornamentik und vor allem mit dem hoch aufgewölbten, gesprengten Giebelabschluß gewisse Ähnlichkeiten zum abgebildeten Schrank. Enge Parallelen in der Giebelbekrönung und im gesamten Design lassen sich aber an einem nußbaumfurnierten Schreibschrank (Kunstgewerbemuseum Dresden) aus Schloß Börln bei Leipzig feststellen. Diese Dresdener Möbelgruppe, zu der noch einige andere Arbeiten zählen, entstand in der Zeit um 1750/1760 und zeichnet sich durch eine besondere Verarbeitung sowohl im Äußeren als auch im Inneren aus. Eiche, Nußbaum und bestens verarbeitete Fichte dienen als Blindholz. Rückwand und Böden der dunkelrot eingefärbten Schübe im Kommodenteil sind bündig auf Rahmen-Füllung gearbeitet. Gleichfalls feinste Furnierungen zeigen die Türinnenseiten und Eingerichte, in denen sich eine Vielzahl von Geheimfächern hinter herausnehmbaren Briefladen und zurückzuschiebenden Böden verbergen.
Solche perfekten Dresdener Möbel mit „ zierliche[m] als auch prächtige[m] Aussehen“ - zu denen der vorgestellte Schreibschrank genauso wie das „ganz ápart inventirte kostbare“ Meisterstück Michael Kimmels von 1750 gehört - galten seinerzeit als hochdotierte und hochmoderne Möbel, die in Dresden sogar während des Rokoko durch ihre form- und zweckorientierte künstlerische Gestaltung immer volle Gebrauchsfähigkeit besaßen. Vermutlich auch deshalb erwarb wohl die sächsische Kurprinzessin Maria Antonia das Meisterstück des „Cabinett-Tischlers“ für ihr Schmuckkabinett im Dresdener Taschenbergpalais. Im Inventar von 1768 wurde das Möbel hier als ein „guter Schranck von raren Holz und 2 Spiegel Glaß Thüren, und um mit vergoldten Messing verzieret hat innewendig viele sichtbare und verborgene Fächer“ beschrieben.
Haase, G., Dresdener Möbel des 18. Jahrhunderts, verb. Aufl. Leipzig/Rosenheim 2002; Haase, G., „Zu einem in Dresden zum Verkauf stehenden Putz- und Schreibe Schrank“, in: Jahrbuch der Staatl. Kunstsammlungen Dresden 1998/1999, Bd. 27, S. 68-74, Abb. 7; Haase, G., Dresdener Möbel – Kimmel oder Leuchte?, in: Antiquitätenzeitung 30. Jg., H. 1, S. 12f.
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