Zwei Fayence- Papageien


Höchst, vor 1753

Radmarke und Staffiererzeichen »IZ«
für Johannes Zeschinger (geb. 1723)
Höhe 20,5 cm

Description

Die barocke Kleinplastik erlebt in den Porzellangestaltungen des 18. Jahrhunderts einen überaus großen Reichtum an sehr unterschiedlichen Bildthemen, wie er mit den traditionellen Medien wie z.B. Holz, Elfenbein oder Metallguß kaum möglich gewesen wäre; in der etwas einfacheren Fayencetechnik ist man gelegentlich diesen Beispielen gefolgt. Und innerhalb dieser an Formen so üppig-reichen Vielfalt finden wir- vor allem in Meißen – eine sehr umfangreiche Tierwelt. Carl Albiker hat sie uns in seinem 1935 erschienenen Buch „ Die Meissener Porzellantiere“ vorgestellt. In seinem Kapitel „ Das Tier in der Neuzeit“ hat Albiker die kunsthistorischen Wurzeln dieser Bilderwelt in beispielhaft-gültiger Weise dargelegt. In dieser barocken Menagerie begegnen uns auch viele Vögel und unter diesen spielen die exotischen Papageien eine besondere Rolle.

Dem Kunsthistoriker stellt sich hier die schöne Aufgabe, ein Papageienpaar vorzustellen: Da das eine Exemplar mit den Pilzen am Baumstrunk eine Radmarke und das Staffiererzeichen „IZ“ trägt, ist die kunsthistorische Einordnung leicht: Dieses Paar ist in der kurmainzischen Porzellanmanufaktur Höchst entstanden. Die Feststellung gilt für beide Stücke, denn auch wenn das zweite Exemplar ungemarkt ist, so verbiete doch die gleichartige Staffierung jeden Zweifel. Die höchster Manufaktur wurde 1746 gegründet, in den ersten Jahren wurde dort „nur“ Fayence hergestellt. Der künstlerische Leiter in der Höchster Gründungszeit, Adam Friedrich Löwenfinck, nannte diese Erzeugnisse „Fayence-Porzellan“. Dieser Doppelbegriff macht deutlich, daß er die technischen Unterschiede zwischen den beiden Keramikarten wohl kannte, war er dich einstmals Lehrling in der Malstube in der Meißner Porzellanmanufaktur gewesen, und dort hatte er eben mit Porzellan zu tun gehabt:Der Umgang mit der Fayencetechnik dürfte ihm dann nach seiner Flucht aus Meißen 1736 in Fulda vertraut geworden sein. Seine künstlerische Leistung lag vor allem darin, daß er die bis dahin zumeist blau-monochrome Farbe der Fayence so erweiterte, wie er es als Malerlehrling in Meißen unter Hoeroldt kennen gelernt hatte. Somit entstanden unter seiner künstlerischen Leitung Fayencen, die farbig so staffiert waren wie etwa zeitgleiche Meißener oder Wiener Porzellane, und die eben dadurch gänzlich anders wirkten als die ebenfalls zeitgleichen Fayencen etwa aus Hanau oder Frankfurt, also aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Höchst. Und so hatte also die Bezeichnung „Fayence-Porzellan“ durchaus ihre Berechtigung.

Fayence wurde in Höchst -wie schon gesagt- ausschließlich in den ersten Jahren hergestellt, von 1750 an wurde dann auch in Höchst Porzellan produziert, bis 1756 dürften beide Techniken in der gleichen Manufaktur nebeneinander bestanden haben, 1758 wurde die Fayenceproduktion offiziel eingestellt.
Die Buchstaben“IZ“ auf dem einen Exemplar unserer Papageien sind das Zeichen des Malers und Staffierers Johannes Zeschinger, der Höchst 1753 verlassen hat, um in Fürstenberg ein neues Glück zu suchen.Damit ist das Paar sehr gut datierbar: Es muß vor 1753 entstanden sein. Es bleibt an dieser Stelle nachzutragen, daß das Höchster Unternehmen 1756 zum ersten Male in Konkurs ging. Es folgte so etwas, was man heute „Kurzarbeit“ nennen würde. Löwenfinck, der erste künstlerische Leiter, hatte Höchst bereits 1749 verlassen und war nach Straßburg gegangen.

Nun muß noch die Frage erörtert werden, wem die figürliche Gestaltung der Papageien zu verdanken ist. In dem ersten Jahrzehnt haben in der kurmainzischen Manufaktur am Main insgesamt vier Modelleure gearbeitet. Da ist zuerst Gottfried Becker zu nennen, der wohl schon 1746 im Gefolge von Löwenfinck nach Höchst gekommen ist. Nach ihm wären noch die Namen von Simon Feilner, von Carl Vogelmann und Johann Christoph Ludwig von Lücke zu nennen. Letzterer ist ebenfalls in Meißen nachweisbar. Er ist aber in Höchst wohl erst um 1750 aufgetaucht und hat wie Vogelmann und Feilner nur in Porzellan gearbeitet. So bleibt also der Name von Gottfried Becker. Wir müssen uns hier aber auch nicht mit dem immer viel bemühten Ausschließungsprinzip begnügen, denn Becker war in Meißen in der Umgebung von Kaendler in der Lehre gewesen, er hatte also die Entstehung vieler Meißener Porzellantiere miterlebte, und so darf man Gottfried Becker die Höchster Fayencetiere, und das waren in der Hauptsache Papageien, mit großer Sicherheit zuweisen. (Vergl. Hierzu Horst Reber, Die Kurmainzische Porzellanmanufaktur Höchst, Bd. II: Fayencen. München 1990, S. 102,119, 171-174.- Horst Reber und Stefanie Felicitas Ohlig, Stiftung und Sammlung Kurt Bechthold.- Höchster Fayencen und Porzellane, Mainz 2002, S. 32 ff.)

Die beiden Papageien sitzen jeweils auf einem Baumstrunk. Sie sind durch die gleiche farbige Staffierung und auch durch die gleiche Größe deutlich als Paar gekennzeichnet. Die Rücken sind blau gehalten, die Brustfedern sind zartrosa getönt, das nach unten hin in ein gebrochenes Weiß übergeht; bei den Flügeln fallen kräftigere Blautöne auf, mit denen die Deckfedern gekennzeichnet sind, dazu kommen gelbe und graue Partien. Sehr auffallend sind die großen Augenfelder, in dnenen die verhältnismäßig kleinen Augen uns wohl ein wenig fragend anschauen! Die Baumstrünke heben sich aus dem grünen Waldboden heraus und sind in markanten Brauntönen gehalten. Auffalend ist ein bemerkenswerter Unterschied in den Größenproportionen. Denn ein solch markanter Überrest eines Baumes müßte deutlich größer, vor allem nach oben hin breiter erscheinen als der darauf sitzende Papagei. Dies war aber Becker offenbar nicht wichtig. Andererseits darf an dieser Stelle angemerkt werden, daß ähnliche Naturformen auch bei Fayencegeschirren zu erkennen sind, wir finden dort z.B. bei Kännchen Ausgüsse und Henkel in ähnlichen Astformen (vergl. Reber, 1986, S. 85 ff.).

Dieses Papageienpaar ordnet sich ein inter die anderen Höchster Papageien, denn wir kennen aus der Höchster Manufaktur über zwanzig unterschiedliche Modelle. Sie gehören also in ein bemerkenswert großes Ensemble. Wollte man dem Umstand folgen, daß Papageien auch in der Natur, in Freiheit, gerne gesellig leben?
Man muß sich in dem Zusammenhang dann auch die Frage stellen, warum es in der Höchster Manufaktur so verhältnismäßig viele und in den anderen benachbarten Manufakturen keine Papageien gegeben hat! Immerhin bestanden um 1750 noch die älteren Manufakturen aus dem 17. Jahrhundert in Hanau und in Frankfurt; etwa gleich alt wie Höchst oder nur wenige Jahre jünger waren die Betriebe in Offenbach, in Kelsterbach und in Flörsheim. Und nun in der letztgenannten 1765 gegründeten Manufaktur, die bemerkenswerterweise ebenfalls zu Kurmainz gehört, kennen wir das Modell eines um 1780 entstandenen Papageis, der auf einer Kugel sitzt. Die Flörsheimer Manufaktur wurde übrigens gegründet, weil in Höchst keine Fayencen mehr hergestellt wurden und weil man es so den Mainzern ersparen wollte, Fayencen „im Ausland“ zu kaufen. Und nach dem merkantelistischen Denken der Zeit waren z.B. Frankfurt oder Offenbach, Hanau und Kelsterbach zolltechnisch gesehen „Ausland“ /vergl. Gierzu: Michel Oppenheim, Die Flörsheiner Fayencefabrik, Sonderdruck aus dem Jahrbuch „Freunde der Univerität Maint“, 1962m S. 76 ff.; Karl Schafft, Flörsheimer Fayencen, Darmstadt 1977, S. 102-107). Der Flörsheimer Papagei ist also um eine Generation jünger als die um 1750 entstandenen Höchster Modelle, und er ist, der Papageiennatur zuwider allein geblieben. Fassbare Verbindungen zu den vielen Höchster Modellen sind nicht erkennbar. Übrigens ist die Frage nach dem Modelleur für das Kelsterbacher Modell wohl nicht gestellt, auf jeden Fall nicht beantwortet worden. Also wie kommt es, daß man in Höchst so viele Fayencepapageien geschaffen hat und anderswo in der Nachbarschaft so gut wie keine. Wahrscheinlich muß man sich auf eine einfache Erklärung zurückziehen, daß es eben in Kurmainz Abnehmer gegeben hat die es weder in den Grafschaften Hanau und Ysenburg mit seiner Manufaktur in Offenbach noch in der freien Stadt Frankfurt und auch nicht in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt mit seiner Manufaktur Kelsterbach gegeben hat. Es sei hier nebenbei bemerkt: Daß alle diese Manufakturen am Main liegen hatte sicher praktische Gründe. Denn der Fluß war der günstigste und vor allem für das notwendige Brennholz der einzige gangbare Weg. Mit Fuhrwerken über Land wäre das Holz kaum an den Ort der Bestimmung gekommen.

Man muß also annehmen, daß es in Kurmainz einen oder mehrere Liebhaber von Papageien gegeben hat. Und sicherlich hat man solche Tiere auch in Volieren gehalten, so daß der Höchster Modelleur die Gelegenheit haben konnte, lebende Papageien zu beobachten. Und da diese Tiere gesellig leben, so dürfte der uns leider unbekannte Vogelfreund sie auch gesellig gehalten haben. Denn einzeln lebende Papageien werden leicht neurotisch, sie stoßen nicht nur sehr laute und schrille Töne aus, die gar nicht zu ihrem schönen Gefieder passen, sie neigen auch dazu, sich die Federn auszureißen und dann sehen sie aus wie gerupfte Hühner. Weil aber diese Vögel mit ihrem bunten Gefieder sicher nicht zuletzt wegen ihres optisch-ästhetischen Reizes angeschafft worden sind, war es am wirkungsvollsten, wenn man ihnen die gewohnte gesellige Gemeinschaft mit ihresgleichen verschaffte. Und es war ganz sicher auch eine besondere Möglichkeit der Repräsentation, die man in der ausgehenden Barockzeit gern pflegte. Und so darf man vermuten, daß die Höchster Fayence-Vogelschar ein künstlerisches Abbild einer einstmals geselligen Tierhaltung gewesen ist. Der Höchster Modelleur Gottfried Becher dürfte also seine Gestaltung nach der Natur geschaffen haben, das gilt in gleicher Weise auch für den Staffierer Johannes Zeschinger, der seine Farbgestaltung nach natürlichen Vorbildern ausrichten konnte. Wo im Kurfürstenturm Mainz eine solche Voliere gestanden hat, wissen wir leider nicht, am ehesten in der Hauptstadt Mainz selbst. Ein solches Gebäude konnte z.B. in der recht weitläufigen Schloßanlage der „Favorite“ gestanden haben, die Kurfürst Lothar Franz von Schönborn im frühen 18. Jahrhundert etwa gegenüber der Mainmündung im Süden von Mainz errichten ließ und die sein Großneffe, Kurfürst Johann Friedrich von Ostein bestimmt gerne als seine mainzische Residenz genutzt haben wird, zumal das eigentliche kurfürstliche Schloß am Rheinufer in Mainz eine unmoderne Baustelle war. Die Favorite kennen wir leider nur noch nach den um 1723 gedruckten Kupferstichen von Salomon Kleiner, denn die gesamte Anlage wurde bei der Belagerung von Mainz 1793 zerstört.( Die Stichfolge wurde zuletzt publiziert in einem Heft „Favorita“ in „Lebendiges Rheinland-Pfalz“, Jahrgang 117, Heft 6, 1980). In der Regierungszeit Osteins von 1743 bis 1763 wurde die Höchster Manufaktur gegründet, daran sollte an dieser Stelle ausdrücklich erinnert werden.

An dieser Stelle darf auch kurz die Frage nach der Arbeitsweise des Modelleuers erörtert werden, denn wir erkennen auf den Tierkörpern sehr oft eine oder mehrere Formnähte, das sind feine, meist kaum sichtbare Linien, die die Stelle zeigen, an denen zwei Modellformen aneinander gestoßen sind. Diese Nähte sollten zwar von den Bossierern weggearbeitet, geglättet werden, daß sie nicht mehr erkennbar sind: man nennt das „Verputzen“. Trotz aller Sorgfalt sind Formnähte aber doch oft noch zu sehen, so daß wir sagen können: Es muß von den Modellen Formen gegeben haben, in unserem Falle von den Vogelkörpern; dagegen sind die Sockel in der Form von Baumstrünken wohl eher frei modelliert worden, vielleicht hat es aber auch hier Grundformen gegeben. Aus einer Modellform ließen sich dann auch kleine Variationen herstellen, denn er noch feuchte Ton erlaubte es, z.B. den Vogelkopf in die eine oder andere Richtung zu drehen.

Worin lag nun er besondere Reiz der Papageien, was hat so interessant und wohl auch so begehrenswert gemacht. Sicher war es auf der einen Seite das exotische Fremde, ihre starke Farbigkeit, mit der sie sich von der einheimischen Vogelwelt so deutlich unterschieden. Zu den besonderen Fähigkeiten der Papageien gehört es dann aber auch, daß sie in der Lage sind, Worte und sogar kurze Sätze nachzuplappern. Wie man das im 18. Jahrhundert gesehen hat beschreibt eine Fabel von Antoine Houdart de la Motte, die 1736 mit seinen anderen Fabeln in einer deutschen Ausgabe erschienen ist, das Buch wurde in Frankfurt und Leipzig herausgegeben. Die dritte Fabel heißt „Der Papagei (S.9-11) und erzählt von einem Manne, der nach dem Tod seiner Frau sich von einem Papagei trösten lassen wollte: „Man sah ihn auch sogleich zum Vogelhändler gehen./ Hier fand er Vogel gnug von Stimm und Federn schön,/ Es waren Zeißige, Stieglitz und Nachtigallen,/ Besonders sehr viele Papageyen.“....Er wählte dort einen Papagei, der ihm zurief „Ich denck mir desto mehr“, während andere ihn mit groben bis vulgären Rufen abgestoßen hatten. Er mußte dann aber erfahren, daß das Tier aber nur diesen Satz gelernt hatte. Seine Sprache war nicht mehr als ein Echo, der gelernte Satz beruhte nicht auf einer intellektuellen Fähigkeit. Wir lernen aus der Fabel auch, daß damals „Vogelhändler“ gegeben hat. Das liegt zwar auf der Hand, denn die Papageien kamen nun einmal aus Afrika und Amerika, dort wurden sie eingefangen und kamen als Handelsware nach Europa. Dies beschreibt z.B. auch der berühmte Zedler in seinem 1740 erschienenen „Universal Lexikon“. Dort lesen wir im 26. Band auf S. 614 „Ein ausländischer Vogel, so mehrentheils aus America zu uns gebracht, aber auch in Africa und Indien gefunden wird“. Auf diesem Handelsweg kam auch der Name nach Europa. Das Wort „Papagei“ geht sich auf das arabische „babaga“ zurück, das seinerseits wahrscheinlich indischen Ursprungs ist (Karl Lokotsch, Ethymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1975, Nr. 147). Man darf annehmen, daß die Papageien über Spanien nach Europa gekommen sind. In die Welt des Aberglaubens sind die Papageien nicht eingegangen (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin 2000, Bd. 6, Sp.1387/1388); allerdings kommt der Papagei doch in der emblematischen Literatur vor (Arthur Henkel und Albrecht Schöne, Emblemata, Stuttgart und Weimar 1967/1996, SP: (801-805).

Nach diesem kleinen Ausflug in die Wirtschafts- und Geistesgeschichte dürfen wir noch einmal zu unsern beiden Papageien zurückkehren. Sie sind zuletzt in dem Auktionskatag von Christie's London vom 30. und 31. Mai 2012 Nr. 523 publiziert worden. Der Schreiber dieser Zeilen hat sie zuvor in seinem Buch über die Höchster Fayencen beide erwähnt (Reber 1986, Abb. 22 und 33). Es ist sehr bemerkenswert, daß die Vogelwelt der Höchster Fayencezeit, neben den vielen Papageien kennen wir noch einen Eichelhäher, daß sie alle in den Porzellangestaltungen, die nach 1750 entstanden sind, kaum nich eine Rolle gespielt haben. Wir kennen nur noch zwei Modelle in Porzellan: Einmal einen sitzenden Papagei auf einem sehr reich gestalteten, recht hohen Rocaillesockel (vergl. Kurt Röder und Michel Oppenheim, Das Höchster Porzellan, Mainz 1930, Nr. 30, Taf. 6. - Horst Reber, Eine rheinische Porzellan-Sammlung, Bd. II, S. 16-19).

Wir haben bei den Untersuchungen in Verbindung mit unseren beiden Fayencepapageien viele Fragen gestellt. Diese Methode folgt einer sehr alten Maxime, die Erich Kästner unter der Überschrift „Sokrates zugeeignet“ so wunderbar präzise, wie nur er es konnte in diese kurze Versform gebracht hat:

Es ist schon so: Die Fragen sind es, aus denen das, was bleibt, entsteht.
Denkt an die Fragen jenes Kindes:
„Was tut der Wind, wenn er nicht weht?“

Horst Reber

REF No. 224