Öl auf Leinwand
Eines unten mittig signiert und datiert „Thielle 175(?)“
Höhe 89,9 cm, Breite 123,5 cm (beide)
Johann Alexander Thiele (Erfurt 1685–1752 Dresden) wurde 1685 auf der Festung Petersberg in Erfurt geboren und absolvierte in seiner Heimatstadt eine fünfjährige Lehre zum Buchdrucker. Seine Wanderjahre führten ihn anschließend nach Dresden, Leipzig, Wolfenbüttel, Braunschweig, Zell und Lüneburg, wo er in den Militärdienst eintrat. In dieser Zeit hatte er – entsprechend eigener Aufzeichnungen – ausreichend die Möglichkeit sich in der Malerei zu üben und darüber hinaus andere darin zu unterrichten. Nachdem Thiele den Dienst quittiert hatte und für kurze Zeit nach Erfurt zurückgekehrt war, reiste er 1714 erneut nach Dresden, um sich dort künstlerisch fortzubilden. Als Maler bisher nur Autodidakt, wurde er dort von Franz de Paula Ferg (Wien 1689–1740 London) in der Figurenmalerei und von dem Leipziger Bildnisstecher Martin Bernigeroth (Rammelburg 1670–1733 Leipzig) im Radieren unterrichtet. In seiner Autobiografie, die Thiele im Alter von 63 Jahren auf den nachgehefteten Blättern seiner Bibel (2) festhielt, beschreibt er diese Begebenheit wie folgt: „[…] 1714. Zu Anfang des January, begab ich mich auf die Reiße nach Dreßden, und kam daselbst den 16ten January 1714 an. Allhier war nun der Orth, wo mir mein lieber Gott daßjenige was mir noch fehlete in der Kunst vollkommen finden ließe, ich versäumte auch diese Gelegenheit gar nicht, sondern war fleißig und auf zu reden H. de Manjoui [Adam Manyoki (Szokolya 1673–1757 Dresden)] berühmter Porträtmaler daselbst, wie auch auf zu reden H. Mengsen [Ismael Mengs (Kopenhagen 1688–1764 Dresden)] verließ ich die Miniatur Mahlerey, und begab mich auf Öhlfarbe, quittiret die Portraiten ganz, und legte mich auf die Landschafften, und mahlete solche in groß und kleinen Formaten.“ (3) Seit 1718 erhielt er Aufträge von August dem Starken, dessen Aufmerksamkeit er 1716 mit Ansichten aus dem Plauenschen Grund auf sich gezogen hatte. Baron Raymond Le Plat (um 1642–1742), der den König in allen die Kunst betreffenden Angelegenheiten beriet, verhinderte jedoch Thieles Anstellung als Hofmaler. (4) Als diese auch nach geraumer Zeit und etlichen Gunstbeweisen ausblieb und darüber hinaus sein großer Förderer Jacob Heinrich Graf von Flemming (Hoff 1667–1728 Wien) gestorben war, zog der Maler mit seiner Ehefrau 1728 von Dresden nach Arnstadt, wo er bis 1738 als Hofmaler des Fürsten Günther I. (XLIII.) von Schwarzburg-Sondershausen (1678–1740) tätig war. Es scheint als hätte Thiele auch in seiner Arnstädter Zeit den Kontakt mit Dresden gepflegt, denn 1730 schuf er im Auftrag Augusts II. das Ereignisbild Das Zeithainer Lager (5). Für das Rahmenprogramm dieses eindrucksvollen Spektakels zeichnete Heinrich Graf von Brühl (Gangloffsömmern 1700–1763 Dresden) verantwortlich, durch dessen Fürsprache Thiele schließlich am 3. November 1738 seine Bestallung als Hofmeister in Dresden erhielt. Thiele lebte bis zu seinem Tod in Dresden. Neben Ereignisbildern schuf er im Laufe seiner Karriere Ansichten von Schlössern und Städten (u.a. Arnstadt, Sondershausen, Dresden, Leipzig, Bautzen, Görlitz, Freiberg, Meißen, Kassel, Braunschweig und Schwerin), eingebettet in erfundene, meist barock bewegte Landschaftsprospekte, die besonders in seiner letzten Schaffensperiode von ausgesprochener Qualität waren und unter dem Einfluss der niederländischen, französischen aber auch italienischen Malerei, zu deren Studium er in der Dresdner Gemäldegalerie und wohl auch in den Sammlungen zahlreicher Privatleute Gelegenheit hatte, standen. Zu seinem Bekanntenkreis zählten Ismael Mengs, Louis de Silvestre (Sceaux 1675–1760 Paris), Anna Maria Werner (Danzig 1688–1753 Dresden) und Bernardo Bellotto, gen. Canaletto (Venedig 1720–1780 Warschau), der sich auf seinem ersten Dresdner Gemälde (6) in einer Dreiergruppe mit Thiele und dessen Schüler Christian Wilheln Ernst Dietrich darstellt.
Die beiden vorgestellten, als Pendants konzipierten Gemälde zeigen zwei Ansichten Konstantinopels, von den beiden Ufern des Bosporus aus betrachtet. Bezugspunkt ist jeweils der Topkapi-Komplex, der auf einem Gemälde deutlich von Norden gezeigt wird und auf dem anderen von Süden gesehen, nur durch den großen Rundbau auf dem Hügel der links in die Meerenge ragenden Landzunge ausgemacht werden kann. Beide Ölgemälde zeigen gespiegelt die gleiche Bildkomposition: Im Vordergrund nutzt Thiele jeweils dunkle bewachsene Felsen, einzelne Bäume und rahmende Büsche als Repoussoirs, die den Blick auf zwei felsige Anhöhen überleiten, die von orientalischen Personen von Stand sowie der Landbevölkerung belebt werden. Der Mittelgrund wird von einer mit europäischen und orientalischen Architekturen durchzogenen Anhöhe bestimmt, die bis zu den Ufern des Bosporus reicht. Der Blick folgt dem Verlauf der Meerenge, einmal in Richtung des Marmara Meers, das andere Mal des Schwarzen Meers, in eine weitläufige, bergige Landschaft, über der sich der von imposanten Wolkenformationen beherrschte Himmel öffnet. Beide Ansichten halten in Pastellnuancen den Moment des Sonnenaufgangs fest.
Johann Alexander Thiele war niemals in Konstantinopel und muss deshalb nach einer Vorlage gearbeitet haben. Für die geografische Ansicht eines der beiden Bilder ist diese bekannt. Es handelt sich dabei um ein Gemälde des flämisch-französisch Malers Jean Baptiste Vanmours (7) (Valenciennes 1671–1737 Istanbul), das Konstantinopel gesehen von der Terrasse der Niederländischen Botschaft zeigt, die auf einem Hügel im Diplomatenviertel von Pera (heute Beyoğlu) situiert war. (8) Nicht nur für die Ansicht der Stadt am Bosporus war Vanmours Werk Inspirationsquelle, in beiden Gemälden Thieles finden sich sowohl exakte als auch variierte Figurenzitate. Thiele sah die Ansicht Konstantinopels wohl in der Sammlung des niederländischen Botschafters am sächsischen Hof, Cornelis Calkoen (Amsterdam 1696–1764 Den Haag), der vor seiner Verpflichtung in Dresden ab dem Jahr 1744 seit 1727 in Istanbul weilte und dort eine Vielzahl an Bildern von Vanmour erwarb. Durch eine persönliche Verfügung aus dem Jahr 1762 vor der Veräußerung geschützt, sind Calkoens Bilder heute Teil der Sammlung des Rijksmuseums in Amsterdam.
Jean Baptiste Vanmour, Blick auf Istanbul von der Niederländischen Botschaft in Pera, zwischen 1720 und 1737, Öl auf Leinwand, 142 x 214 cm, Amsterdam, Rijksmuseum
Thieles Landschaftsauffassung unterschied sich grundlegend von jener Vanmours und so veränderte er den Blick in die Landschaft auf eine für ihn charakteristische Weise,(9) der Vordergrund wird von dunklen Felsen, alleinstehenden Bäumen und rahmenden Buschgruppen eingefasst. Ihre detailreich Durchgestaltung steht im Gegensatz zu der gestaffelten hügeligen Flusslandschaft und bewirkt so die Steigerung des Tiefeneindrucks. Die Morgenstimmung wird nicht nur durch die charakteristische Färbung des Himmels deutlich, sondern auch durch den kräftigen Lichteinfall auf den vordergründigen Landschaftsausschnitt. Die Figurengruppen wurden am Ende des Bildschöpfungsprozesses zur Belebung in die Landschaften gesetzt. Neben zitierten Motiven aus Vanmours Gemälde finden sich auch Motivvarianten und selbstständige Darstellung, die – besonders in der Darstellung des Esels mit Führer – vom Einfluss des Wiener Malers Franz de Paula Ferg (Wien 1689–1740 London) zeugen, von dem Thiele zwischen 1718 und 1720 in der Figurenmalerei unterrichtet wurde.
Lediglich eines der beiden Gemälde ist signiert und zudem datiert. Da die letzte Ziffer nicht lesbar ist, ergibt sich ein offen Datierungsraum zwischen 1750 und dem Tod Thieles im Jahre 1752. Nur wenige weitere Darstellung türkischen Sujets von seiner Hand sind bekannt. (10)
Über die Auftragslage zur Entstehung der beiden Gemälde ist nichts überliefert. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass der Auftraggeber das Gemälde Vanmours in der Sammlung Cornelis Calkoens in Dresden gesehen und Thiele mit einem Gemäldepaar nach dessen Vorbild beauftragt hatte.
1 A catalogue of a collection of valuable pictures, the genuine property of a nobleman, which will be sold by auction, by Mr. H. Philipps, at his Great Room, 67, New Bond Street, London, England, 1798 May 16.
2 Biblia, Nürnberg 1725, Staatliche Museen Berlin, Preussischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett.
3 Zitiert nach: „Wie über die Natur die Kunst des Pinsels steigt“. Johann Alexander Thiele (1685-1752). Thüringer Prospekte und Landschafts-Inventionen, Weimar/Jena 2003, S. 14.
4 Vgl. Lutz Unbehaun, „Weilen wir nun nichts als zeichnen und mahlen im Kopffe stak“. Zur Biographie Johann Alexander Thieles, In: „Wie über die Natur die Kunst des Pinsels steigt“. Johann Alexander Thiele (1685-1752). Thüringer Prospekte und Landschafts-Inventionen, Weimar/Jena 2003, S. 28.
5 Johann Alexander Thiele, Das Zeithainer Lager, 1730/31, Öl auf Leinwand, 195 x 312 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 3723; Während des Zeithainer Lagers präsentierte August der Starke 47 geladenen Fürsten sein reorganisiertes, 28 000 Mann starkes Heer. Diese 31 Tage andauernde Truppenschau, die unter dem Kommando des Generalfeldmarschalls August Christoph Graf von Wackerbarth (Kogel 1662–1734 Dresden) stand, wurde von zahllosen Lustbarkeiten und Festen begleitet, für die Heinrich Graf von Brühl (Gangloffsömmern 1700–1763 Dresden) verantwortlich zeichnete. Wie auch bei zahlreichen anderen Gemälden Thieles malte Christian Wilhelm Ernst Dietrich (Weimar 1712–1774 Dresden) die Figurenstaffage des Gemäldes.
6 Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, Dresden vom rechten Elbufer oberhalb der Augustusbrücke, 1747, Öl auf Leinwand, 132 x 136 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. 602; vgl. Unbehaun 2003; Anke Fröhlich, Thiele, Johann Alexander, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von Martina Schattkowsky, Online-Ausgabe: http://www.isgv.de/saebi/ (3.12.2015).
7 Jean-Baptiste Vanmour reiste 1699 mit dem französischen Gesandten Charles, Comte de Ferriol (späterer Marquis d'Argental) nach Konstantinopel, wo er zwischen 1707 und 1708 zahlreiche Gemälde der Einheimischen anfertigte. Diese nahm Ferriol 1711 zurück nach Frankreich, wo Sie im Auftrag Jacques Le Hays in Kupfer gestochen 1714 unter dem Titel Recueil de cent estampes représentant différentes nations du Levant in Paris publiziert wurden. Vanmour, der 1725 den Titel „peintre ordinaire du Roy et en Levant“ erhielt, wurde auch für seine Gemälde, die diplomatischer Ereignisse am türkischen Hof zeigten, gerühmt. Er war neben dem französischen Botschafter auch für den Grafen Damian Hugo von Virmont (Herten 1666–1722 Herrmannstadt), den venezianischen Gesandten Francesco Gritti (Venedig 1673–1730 Venedig) und den niederländischen Botschafter Cornelis Calkoen (Amsterdam 1696–1764 Den Haag) tätig. Vanmour verstirbt 1737 in Konstantinopel (vgl. Haydn Williams, Turquerie. An Eighteenth-Century European Fantasy, London 2014, S.49 ff.).
8 Jean Baptiste Vanmour, Blick auf Istanbul von der Niederländischen Botschaft in Pera, zwischen 1720 und 1737, Öl auf Leinwand, 142 x 214 cm, Amsterdam, Rijksmuseum. Ich danke Burcu Yüksel, die auf den Zusammenhang zwischen den Gemälden Thieles und dem Werk Vanmours hinwies.
9 Diese Vorgehensweise scheint nicht ungewöhnlich für Thiele. Johann Ernst Ludwig Kämmerer (1757–1807), der 1794 ein Inventar über das Gemäldekabinett des Schlosses Heidecksburg in Rudolstadt anfertigte (Kämmerer 1794), schreibt folgendes zu zwei Kopien Thieles nach Werken Philips Wouwermans (Haarlem 1619–Haarlem 1668) im blauen Zimmer vor der Galerie des großen Saales: „Zwey Copien nach Wouvermann, welcher der Künstler ganz in seiner ihm eigenen Manier gemalt hat. Die Originale davon befinden sich in der Gallerie zu Dreßden. Von Alex. Thiele“ (zitiert nach: Helga Scheidt, Gemälde J.A. Thieles im Inventar des Fürstlichen Palais' Arnstadt 1786, In: „Wie über die Natur die Kunst des Pinsels steigt“. Johann Alexander Thiele (1685-1752). Thüringer Prospekte und Landschafts-Inventionen, Weimar/Jena 2003, S. 381).
10 Das Gemäldeinventar des Schlosses Heidecksburg in Rudolstadt aus dem Jahr 1839 nennt unter Nr. 65 eine „Landschaft mit einer Caravane Türken an einem Brunnen“ (zitiert nach: Scheidt 2003, S. 381). Oft wurde in der Literatur auf Thieles Schülerschaft bei Christoph Ludwig Agricola (Regensburg 1667–1724) hingewiesen, der eine Vielzahl an Gemälden türkischen Sujets schuf. Rüdiger Klessmann jedoch schließt ein Lehrer-Schüler Verhältnis aus biografischen Gründen aus und vermutet eine ausschließlich künstlerische Nachfolge hinsichtlich Thieles Landschaftsauffassung (vgl. Rüdiger Klessmann, Christoph Ludwig Agricola – Ein vergessener Landschaftsmaler des Barock, In: Arx felicitatis [2001], S. 207-215).
Am 16. Mai 1798 bei H. Philipps in London (1) unter dem Titel View of Constantinople & Companion aus dem Besitz Geisweelers an J. Wood für 3.3 £ verkauft
REF No. 721-
Rosalba Carriera (Venice 1675 - ibid. 1757) Porträt eines jungen Mannes
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Christoph Heinrich Kniep (Hildesheim 1755 - Neapel 1825) "Blick auf den Venus-Tempel in Baja" und "Blick auf den Lago d´Averno mit den Ruinen des Proserpina-Tempels"
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Jacques de Lajoue (1686-1761) Garden view with fountains
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Jean-Baptiste Mallet (1759-1835) Der Liebesbrief
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Jean-Baptiste Mallet (1759-1835) "L'amour au petit-pointe"
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Ein Paar Gouchemalereien mit antiken mythologischen Szenen in zwei Ebenen